Wie kann die momentane Situation für die regionale Wirtschaft umschrieben werden? „Verrückt“, „unsicher“ oder „nicht planbar“ waren nur einige Beispiele, die bei der Herbstsitzung des IHK-Gremiums Neumarkt genannt wurden. Viele Unternehmen seien am Limit. „Die Firmen sehen sich mit zahlreichen Herausforderungen konfrontiert: Immense Material-, Energie- und Transportkosten, Lieferkettenengpässe, Arbeitskräftemangel – es gibt keine Branche, die nicht betroffen ist“, stellte Gremiumsvorsitzende Ursula Hammerbacher fest. Die Unsicherheiten seien angesichts der weltweiten politischen und wirtschaftlichen Verwerfungen groß, vor allem hinsichtlich der massiv gestiegenen Energiekosten und der künftigen Energieversorgung. Entsprechend zurückhaltend sei die Erwartungshaltung der Betriebe. Zusätzlich sei das Thema Fachkräftemangel ein Dauerbrenner. Hammerbacher begrüßte zur Sitzung im neuen Kulturzentrum Wieserstadel den Gastgeber und Bürgermeister der Stadt Velburg Christian Schmid, den Bayerischen Finanz- und Heimatminister Albert Füracker, MdL, Landrat Willibald Gailler, IHK-Hauptgeschäftsführer Dr. Jürgen Helmes sowie Lothar Kraus und Eva-Maria Lindner vom Sachgebiet Personenstands- und Ausländerwesen am Landratsamt Neumarkt.
Bereits vorab Gespräche führen
Es müssen vor allem pragmatische Wege gefunden werden, um den Fachkräftebedarf in der Region künftig zu decken, so der Konsens. „Zum einen geht es darum, woher neue Fachkräfte kommen und wie man diese für das eigene Unternehmen gewinnen kann, zum anderen muss die Region für potenzielle Arbeitnehmer attraktive Rahmenbedingungen bieten“, betonte Hammerbacher. Zur Frage des „Woher“ rücken aktuell vermehrt ausländische Arbeitskräfte in den Fokus. Lothar Kraus und Eva-Maria Lindner von der Ausländerbehörde am Landratsamt Neumarkt stellten die aktuellen Zahlen der ausländischen Bewohner im Landkreis sowie deren mögliche Integration auf dem Arbeitsmarkt vor – unter anderem durch das beschleunigte Fachkräfteverfahren, das Betrieben hilft, internationale Fachkräfte aus Nicht-EU-Staaten in kurzer Zeit die Einreise nach Deutschland zu ermöglichen.
Momentan sind etwa 14.500 Menschen aus dem Ausland in Neumarkt registriert, davon etwa 7.700 aus der europäischen Union. Der Großteil davon stamme nach wie vor aus den Ländern des ehemaligen Jugoslawiens wie dem Kosovo oder Kroatien. Dies sei laut Sachgebietsleiter Kraus auch dem hohen Anteil der Baubranche in Neumarkt geschuldet. Zudem seien auch rund 1.200 ukrainische Staatsbürger im Landkreis gemeldet, deren Fluktuation jedoch relativ hoch sei. Generell riet Kraus den Unternehmen, frühzeitig vor der Einstellung einer neuen Fachkraft auf die Ausländerbehörde zuzukommen. Denn oft verzögerten sich Prozesse, wenn ausländische Fachkräfte beispielsweise nach Neumarkt ziehen, aber noch in einem anderen Landkreis gemeldet seien. Hier sei man an Prozesse gebunden, dennoch versuche man für die regionalen Betriebe das Möglichste, betonte der Sachgebietsleiter. Hammerbacher begrüßte den kurzen Draht zur Behörde und appellierte an die Firmen, diesen auch zu nutzen. Darüber hinaus müsse laut Landrat Gailler der Bereich Aus- und Weiterbildung im Landkreis weiter vorangebracht werden, etwa indem künftig mehr Technikerschulen in Berufsschulen integriert werden.
Mut statt Bürokratie
Generell beklagen sowohl die Vertreterinnen und Vertreter aus der Neumarkter Wirtschaft als auch die politischen Akteure die überbordende Bürokratie und zahlreiche Spannungsverhältnisse, beispielsweise wenn es um die Erschließung neuer Gewerbegebiete oder den Bau wichtiger Infrastruktur geht. Die Rahmenbedingungen würden immer komplizierter und schwieriger, stellte Landrat Gailler fest. Beispielsweise sei es unabdingbar, neue Stromleitungen im Landkreis zu bauen, um eine Basis für den steigenden Strombedarf zu schaffen – alleine in Neumarkt werde sich dieser in den kommenden zehn Jahren etwa verdoppeln. Jedoch fehle oftmals der Mut, Entscheidungen für eine zukunftsfähige Infrastruktur zu treffen, nicht zuletzt oft aufgrund fehlender Akzeptanz aus der Bevölkerung. Dennoch gebe es auch Lichtblicke, die es gilt, weiter auszubauen: Der Landkreis sei zum Beispiel bei der Erzeugung von regenerativer Energie – vor allem durch Windkraft – bayernweit führend.
Gießkanne wirkt nicht nachhaltig
Staatsminister Albert Füracker betonte: „Unser Credo mit Blick sowohl auf die aktuellen Unsicherheiten als auch in Zukunft muss lauten: Strom produzieren, soviel irgendwie möglich ist. Es gilt, die momentane Krise strukturell zu bewältigen.“ Die beschlossene Gaspreisbremse sei zwar besser als die Idee der Gasumlage, aber das „Gießkannenprinzip“ der Ampelkoalition sei verbunden mit zahlreichen Herausforderungen bei der Umsetzung. Klar sei aber auch: „Wir müssen bei der Energieversorgung so schnell und effektiv wie möglich weiter machen, vor allem im regenerativen Bereich. Für dieses gemeinsame Ziel würde Bayern auch in Zukunft massiv fördern“, sagte Füracker. Darüber hinaus sei es wichtig, dass Kommunen weiterhin in öffentliche Bau- und Digitalisierungsprojekte investieren. „Wohlstand ist nicht konservierbar und Investitionen bleiben unverzichtbar“, betonte der Finanzminister. Das gelte nicht nur in der Region, sondern auch international. „Wenn wir unseren Wirtschaftsstandort weiter entwickeln wollen, dann müssen wir mit unseren Nachbarn auch in Zukunft effektiv zusammenarbeiten“, betonte IHK-Hauptgeschäftsführer Dr. Helmes und unterstrich damit die Bedeutung des grenzüberschreitenden Wirtschaftsraums Ostbayern-Westböhmen für die Region. Die Fähigkeit zum Dialog in schwierigen Zeiten dürfe nicht abhandenkommen, bestätigte Gremiumsvorsitzende Hammerbacher: „Auch wenn Krisen Umbrüche und Unsicherheit bedeuten, bieten sie Chancen und eröffnen neue Wege.“