Seit 26. Juni sieht man links neben dem großen roten Eingangstor des Museums Lothar Fischer in Neumarkt in der Außenvitrine verschiedene Elemente, die man zunächst nicht gleich deuten kann. Bei näherer Betrachtung wird klar, dass es sich hierbei um eine künstlerische Arbeit der Lothar-Fischer-Preisträgerin Verena Issel (*1982) handelt, der das Ausstellungshaus eine Sonderschau widmet. Doch was steckt hinter diesem Kunstwerk mit dem Titel „Fitness“?
Die Vitrineninstallation, die die deutsch-norwegische Künstlerin Verena Issel, die heute in Berlin lebt, für das Museumsschaufenster geschaffen hat, bezieht sich auf eine Raumarbeit, die die Künstlerin 2020 im Jesteburger Kunstverein gezeigt hat und die nun in veränderter Form wieder ausgestellt wird. Dafür hat sich Verena Issel bewusst für die Außenvitrine entschieden. Das Werk kann also auch ohne Eintritt rund um die Uhr betrachtet werden.
Verena Issels Installation nimmt Bezug zur Kunststätte Bossard in Jesteburg bei Hamburg, die sich in unmittelbarer Nähe zum Kunstverein Jesteburg befindet, wo die Künstlerin unter dem Ausstellungstitel „Fitness, Kraft und Schönheit“ ausstellte. Die Kunststätte Bossard ist ein vom Maler Johann Bossard geschaffenes Gesamtkunstwerk. Bossard hing der Lebensreform-bewegung an, dessen Weltbild völkische und antisemitische Tendenzen aufweist. So wundert
es nicht, dass der Maler Bossard ein Anhänger des Nationalsozialismus und dieser damit verbundenen Gesinnung war. Dies machte er auch in seinem Wohnhaus in Jesteburg, die später die Kunststätte Bossard wurde, sichtbar. So sah man in dem Haus etwa einen Mosaikfußboden, der deutlich Hakenkreuze als Gestaltungsmerkmale aufwies. Heute sind diese Muster reversibel überdeckt, was Verena Issel als äußerst kritischen Umgang mit der Geschichte verurteilt. In ihrer Soloschau im Kunstverein greift Issel diese Problematik auf und verarbeitet sie in der Raumarbeit „Fitness, Kraft und Schönheit“ künstlerisch-kritisch auf. Zu sehen waren in Jesteburg unter anderem Yogamatten und flache, gleichsam geglättete stählerne Fitnessgeräte, umrundet von weichen Elementen. In einer Videopräsentation wurde zu merkwürdigen Klängen ein Yoga-Workshop gezeigt.
Genau diese Yogamatten und Fitnessgeräte platziert Verena Issel 2022 in die Außenvitrine des Museums Lothar Fischer und hinterfragt hier den heutigen Fitnesswahn immer verbunden mit Begriffen wie Leistungssteigerung und Training einerseits und Entschleunigung, Resilienz und Gelassenheit anderseits. Yoga- und Achtsamkeits-Kurse sowie die Fitness- und Esoterik-Industrie haben heute Hochkonjunktur. So bemerkt auch die Künstlerin: „Die Arbeit ‚Fitness‘ in der Außenvitrine des Museums beschäftigt sich auf nachdenkliche Weise mit dem Fitness- Gesundheits- und Selbstoptimierungswahn unserer Zeit und dessen Implementierung ins Politische, wo dem Menschen neoliberale Dogmen wie z.B. Entspannung, Kraft und Resilienz zur Leistungssteigerung in Yogaworkshops nahegelegt werden. Auch stellt die Preisträgerin hier eine Verbindung zur damaligen Jesteburger Ausstellung „Fitness, Kraft und Schönheit“ her.
Verena Issels Rauminstallation „Backlash“, 2022 im Museum Lothar Fischer behandelt ebenso ein aktuelles Thema. Die Objekt- und Installationskünstlerin befasst sich mit dem Alltag der Frau, wie er ihr gerade in Deutschland noch immer ganz selbstverständlich zugeschrieben oder zugeschoben wird, was sich vor allem während des Corona-Lockdowns verstärkt gezeigt hat. Mehr dazu erfahren Sie im Museum. Die Ausstellung „Verena Issel, Lothar-Fischer-Preis 2021“ ist noch bis zum 9. Oktober zu sehen. Am Mittwoch, den 17. August um 15 Uhr führt Museumsleiterin Dr. Pia Dornacher durch die Sonderausstellung.
Nächste öffentliche Führung am So. 4. September 2022 um 11.15 Uhr.